Es ist Freitagabend, ich bin alleine, trinke Bundaberg Gingerbeer und muss an meine Zeit in Indien denken.
Die intensiven und farbenfrohen Bilder und Gedanken an Indien tun gut. Das Reisen in Indien tat mir gut. Auch das Krank sein war lehrreich. Ich habe viele Dinge gelernt, die ich wohl nirgendwo anders erfahren hätte.
Ausserdem fiel mir ein, dass ich am Ende meiner Indienreise mehrere Tage an zwei Artikeln gearbeitet habe, sie aber nie veröffentlichte, weil sie sich nicht richtig rund und fertig anfühlten.
Einen davon habe ich heute Abend noch einmal bearbeitet. Hier ist er:
(Foto by Julie Mayfeng – www.mayfeng.com)
Ein kleiner dünner alter Mann fährt auf seiner Fahrrad-Rikscha drei wohlgenährte weiße Europäerinnen durch die Straßen bzw. schiebt er sie meist nur, weil die Ladung einfach zu schwer für ihn ist. Eine der Damen war ich und die beiden anderen waren Justine und ihre Mutter aus Paris, die mich eingeladen hatten zu ihrem Schneider mitzukommen. Wir hatten zu dritt kaum Platz auf der Sitzbank und meine beiden französischen Mitfahrerinnen fühlten sich ernsthaft unwohl in ihrer Rolle. Sie hielten sich zwar auf ihren beengten Plätzen, aber es fiel ihnen schwer nicht auszusteigen und dem schwerackernden Mann zu helfen oder ihn wenigstens von seiner Bürde (uns) zu befreien. Soviel Verwirrung und Ungerechtigkeitsgefühle in uns und dann noch die enormen Schuldgefühle der Französinnen, machten die Fahrt zu einer Farce.
Aber wie hätte sich der Rikschafahrer gefühlt, wenn wir aus lauter Mitleid von seiner Rikscha abgesprungen wären, im Angesicht Hunderter von Menschen?
Ein Verkehrsstau war dann für Justine und ihre Mutter die perfekte Entschuldigung abzusteigen und sich von den immer unangenehmer werdenden Gefühlen zu befreien. Natürlich haben die beiden den Mann zusätzlich mit einem horrenden Fahrgeld belohnt. Es war das erste Mal, dass ich am eigenen Leib erfahren habe, wie schnell mit Geld versucht wird Schuldgefühle auszumerzen, indem man dafür bezahlt. Sobald die beiden Damen dem Mann das Geld in die Taschen gestopft hatten, eilten sie davon. Mich im Schlepptau.
Ich habe in Sarah McDonalds Buch <Holy Cow> folgende Passage gefunden, die zu diesem Erlebnis paßt:
“I feel increasingly guilty and dismayed. I feel guilty for not giving these women money and guilty for being in a position where I am privileged enough to be a giver rather than a taker and I feel guilty for wanting more than I have and taking what I do have for granted. At times I feel angry at the injustice. But most of all I feel confused and confronted. Why was I born in my safe, secure, sunny Sydney sanctuary and not in Kesroli? India accepts that I deserve it, but I can’t. I wait for understanding.”
Ich für meinen Teil kann zu dieser Begegnung sagen, dass diese offensichtliche Ungleichheit schwer auszuhalten war. Allerdings kann ich mehr und mehr Ungleichheit akzeptieren und tatsächlich als Realität annehmen. Funken von wirklichem Verstehen blitzen auf. Ich habe keine Schuldgefühle. Darüber bin ich froh, denn Schuldgefühle helfen niemandem. Genausowenig wie Mitleid, ich weiss. Sie machen die Ungleichheit nur noch größer. Deshalb ist diese ganze Helfer-Industrie ja so ein verdammt vertraktes Ding.
Aber eines ist ganz klar: Ich fühlte mich nicht wohl als “Prinzessin auf der Rikscha” und es beengt mich mit “Madam” angesprochen zu werden von Menschen, die of so viel älter sind als ich.